Gewittergefahr bedeutet nicht, sofort auf einen Flug zu verzichten. Genaues Beobachten der Wolken, verbunden mit frühzeitigem Handeln, reduziert die Gefahr. Dennoch: im Zweifel nie!

Über den Gipfeln quellen schon die ersten Cumuli in die Höhe, der Wind am Startplatz ist konstant gut. Trotzdem herrscht nicht nur Freude über den angebrochenen Flugtag unter den Piloten, hatte doch der Wetterbericht vor Gewittern gewarnt. Berichte über Gleitschirmflieger, welche eine Gewitterwolke auf eisige 8000 m Höhe hinauf gesogen hatte, machten die Runde. Etwa 50 km entfernt seien sie erfroren wieder zu Boden gekommen. Auch Schilderungen von unfreiwilligen Loopings einiger Deltisten in der Böenfront eines Gewitters verdeutlichten, dass mit diesen Monstern nicht zu spassen ist. Fliegen so weit wie möglich, war der Grundtenor. Nur: Wann zwingt die Gewittergefahr wirklich zur Landung? Mit etwas Wissen über die Entstehung und den Lebenslauf von Gewittern können die Zeichen am Himmel interpretiert werden.

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Cumulus Castellanus bedeuten Gewittergefahr.
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Die Cumuluswolke zeigt eine klare Obergrenze: geringe Gewittergefahr.

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Ein entferntes Gewitter bedeutet keine unmittelbare Gefahr.

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Temp eines Tages mit verbreitet heftigen Gewittern.

Gewitterarten
Es gibt verschiedene Mechanismen, welche Gewitter auslösen: Wenn durch die tageszeitliche Erwärmung feuchte Luft aufsteigt, bilden sich vorwiegend am Nachmittag Wärmegewitter. Wenn vor oder in einer Front zum Beispiel durch die einfliessende Kaltluft feuchte Luft gehoben wird, entstehen Frontgewitter. Energieträger bei beiden Gewitterarten ist feuchtlabil geschichtete Luft. In der Ballonsondierung lässt sich diese Luft daran erkennen, dass die Feuchtadiabate aufsteigender Luft steiler als die Zustandskurve der Temperatur verläuft und diese bis zur Tropopause hinauf nicht schneidet. Ein Beispiel dazu ist in Abbildung 1 dargestellt.

Entwicklungsstadien eines Gewitters
Der Lebenslauf eines Gewitters wird durch drei Stadien charakterisiert. Im Cumulusstadium, das etwa 10 bis 15 Minuten dauert, wächst die Wolke rasch in die Höhe, wobei die Ränder scharf bleiben. Zu Beginn beträgt der Durchmesser 1 bis 2 km, kann aber auf über 10 km anwachsen. Die Temperatur in der Wolke ist überall höher als die Umgebungsluft. Die Aufwinde dominieren vom Boden bis zu den höchsten Zonen in 9 km Höhe und erreichen im oberen Teil Stärken bis zu 15 m/s. Sie reissen die noch kleinen Wassertröpfchen mit sich bis weit über den Gefrierpunkt hinauf, wo deren Konzentration am grössten ist. Unterkühlte Wassertröpfchen können bis –40 °C vorkommen, gefrieren aber schlagartig, sobald sie mit einem festen Keim in Berührung kommen. Einige der Wassertröpfchen oder mittlerweile Eiskristalle werden so gross, dass sie trotz der starken Aufwinde zu fallen beginnen.
Sobald die ersten Regentropfen am Boden aufprallen, beginnt das Reifestadium. Die fallenden Tropfen erzeugen einen Abwind. Im unteren Teil der Wolke beginnen sie zu verdunsten, was die Luft ringsum abkühlt und den Abwind verstärkt. Regen am Boden weist auf Abwind darüber hin, dessen Ausdehnung sowohl vertikal wie horizontal mit der Zeit zunimmt. Gleichzeitig bleiben die Aufwinde bestehen, die mit der Höhe zunehmen und jetzt bis zu 30 m/s erreichen. Die Abwinde im unteren Teil der Gewitterwolke werden in der Regel nur halb so stark. Im Aufwindschlot ist die Temperatur ungewöhnlich hoch, während sie in der Abwindzone ungewöhnlich tief ist. Durch die Eiskristalle in den oberen, noch runden Quellformen verliert die Cumuluswolke ihre scharf abgegrenzten Ränder. Es bildet sich der für eine Cumulonimbuswolke typische Amboss. Dieses Stadium dauert etwa 15 bis 30 Minuten.
Im Auflösungstadium gewinnt der Abwind die Oberhand über die ganze Zelle. Damit hört auch die Bildung von Wassertröpfchen auf, der schauerartige Starkniederschlag weicht gleichmässigem, leichtem Niederschlag, und damit nehmen auch die Abwinde ab. Die Wolke regnet sich aus und zerfällt etwa 30 Minuten nach Beginn dieses Stadiums.

Im Wetterbericht
Der Wetterbericht enthält Angaben über die generelle Gewittergefahr. Wenn zum Beispiel von vereinzelten Gewittern am Nachmittag die Rede ist, so sind damit Wärmegewitter gemeint. Für einen Streckenflug ist dies ein guter Hinweis, dürfte doch gute Thermik zu erwarten sein. Allerdings sollte während dem Flug die Entwicklung der Wolken genau beobachtet werden. Fehlt im Wetterbericht das Wort «vereinzelt», ist die Lage labiler und demzufolge sind mehr Gewitter zu erwarten. Bei verbreiteten Gewittern wird die Lage ungemütlich. Beinahe jede Cumuluswolke kann rasch zu einem Gewitter heranwachsen. Wird von Gewittern im Zusammenhang mit einer Front gesprochen, sind heftige Gewitter zu erwarten, die längere Streifen der Verwüstung hinterlassen. Kein Flugwetter also.

Vor dem Start die Entwicklung der Wolken beobachten
Ist Gewittergefahr vorhergesagt, müssen schon vor dem Start die Zeichen am Himmel genau beobachtet und interpretiert werden. Die folgenden Formen sind Vorboten von Gewittern:

  • Wolkentürmchen (cumulus castellanus), die vormittags aus einer gemeinsamen Wolkenbasis herauswachsen.

  • Cumuluswolken, die plötzlich am blauen Himmel entstehen und nicht von einer am Boden liegenden Warmluftquelle genährt werden.

  • Vertikal ausgedehnte Wolken wie eine Kühlturmfahne.

  • Cumuli, die rasch wie Pilze in den Himmel wachsen und wieder zerfallen.

Untrüglich ist im Laufe des Tages ein Wechsel von raschem Wachstum und plötzlichem Zerfall von Cumuluswolken, bis sie plötzlich eine grosse vertikale und horizontale Ausdehnung annehmen, also dunkel und bedrohlich gross werden.
Bleibt hingegen das vertikale Wachstum begrenzt oder weisen die Cumuluswolken eine klare, nicht steigende Obergrenze auf, deutet das auf eine Inversion hin. Das Gewitterrisiko ist in diesem Falle nicht sehr gross, auch wenn sich die Wolken horizontal ausbreiten.

Während dem Flug Wachstum, Obergrenze, Ausdehnung und Zugrichtung von Cumuluswolken beobachten
Oft mischt sich gute Thermik mit Gewittergefahr. Das heisst aber nicht unbedingt, dass auf einen Flug verzichtet werden muss, denn oft sind die Gewitter lokal begrenzt und können in sicherem Abstand umflogen werden. Dies gilt jedoch nicht bei schlechten Sichtverhältnissen, wenn zum Beispiel grosser Dunst oder zahlreiche Restwolken die Sicht begrenzen, da die Entwicklung der Wolken genau beobachtet werden muss.
Im Flug ist es sehr schwierig, die Wolke zu beurteilen, unter der man gerade kreist. Dennoch, je dunkler die Wolke wird, umso höher ist sie gewachsen und umso mehr Abstand sollte man von der Basis und vom Zentrum halten. Dunkle Gebiete sollten gar nicht erst angeflogen werden.
Die Wolken ringsum können hingegen einfach beobachtet werden. Bleiben alle ungefähr gleich gross oder zeigen sie eine klare, gleichbleibende Obergrenze, droht keine Gefahr. Werden sie aber alle grösser, ist Vorsicht geboten, besonders wenn sie zunehmend in die Höhe wachsen. Ein entferntes dunkles Ungetüm zwingt noch nicht unbedingt zur Landung. Erst wenn es heranzieht, wird es ungemütlich. Sobald Donner hörbar ist, liegt das Gewitter noch etwa 15 km entfernt.
In tieferen Fluglagen, wo die Sicht nur bis zur nächsten Krete reicht, besteht die Gefahr, von einem Gewitter überrascht zu werden. Dann heisst es rasch landen, unter Umständen noch oben auf einer Alp, denn in wenigen Minuten kann der Sturm bereits losbrechen. Der Flug ins Tal würde länger dauern!
Im Zweifel nie, besagt eine Überlebensregel. Auf Gewitter umgesetzt heisst das, lieber absaufen als eingesogen werden. Oder lieber zu früh landen, als von der Böenfront gelandet werden.

(Quelle: Artikel aus SHV-Glider)